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Warum Sichtbarkeit von LGBTQIA+ in Games so wichtig ist

Journalistin Lea Irion hat es dank eines Videospiels geschafft, zu ihrer Sexualität zu stehen. Hier erzählt sie ihre Geschichte und die von zwei LGBTQIA+ Entwickler*innen aus Hamburg.

 

Es war irgendwann spät nachts vor ungefähr einem Jahrzehnt, als ich in meinem Bett lag und auf einen Bildschirm starrte, überrannt von Emotionen und doch irgendwie taub. Ich zog meine Decke zur Brust in der Hoffnung, sie würde mich schützen, vor diesen Gedanken und Gefühlen, die immer wieder und vor allem jetzt gerade in meinem Kopf aufblitzten. Meine Augen klebten am Bildschirm, im Hintergrund lief leise „I Got You Babe“ von Etta James.

Let 'em say that we are wrong

I don't care, with you I can't go wrong

Momente zuvor hatte ich etwas erlebt, was ich in diesem Ausmaß von Videospielen nicht kannte: Ich habe mich selbst gesehen. Als hätte jemand das Glas meines Fernsehers mit einem Spiegel getauscht um mir zu sagen: Schau her, Lea, das bist du. Es war eine Szene, gleichermaßen herzzerreißend wie herzerwärmend, für mich persönlich lebensverändernd: Ellie und Riley, die beiden Protagonistinnen aus dem DLC Left Behind von The Last of Us, hatten sich geküsst.

Ich lag da, mit großen Augen und starrem Blick, Gänsehaut, kreisenden Gedanken und den Tränen nahe. Kein Spiel zuvor hatte das gemacht, was Left Behind so mühelos tat: mich repräsentiert. Dieser schicksalhafte Moment geschah in einer Phase meines Lebens, in der ich nirgendwo Halt fand. Meine Eltern hatten sich getrennt, wir mussten umziehen und zurück blieb am Ende des Tages ein suchendes Ich, das bis dato so viele Wege bestritten, aber keinen richtigen gefunden hatte. Meine größte Baustelle war meine sexuelle Orientierung: Ich wusste früh, dass in meinem Herzen nur Platz für Frauen war. Aber ich hatte keine Anleitung, ich hatte niemanden, der mich mal zur Seite nahm und mir sagte, dass es vollkommen in Ordnung ist, nicht heterosexuell zu sein.

Und plötzlich war da ein Anker

Videospiele waren und sind meine wichtigste Zuflucht. Doch gerade in diesen fiktiven Welten, die mir damals alles bedeuteten, fußten jegliche Romanzen, sofern es sie denn gab, auf Heteronormativität. Ebendas, was mich schon im echten Leben plagte, nämlich die fehlende Sichtbarkeit queerer Menschen, verfolgte mich selbst im Gaming. Bis zu jener Nacht, in der ich wieder mal gegen den Willen meiner Mutter um 2 Uhr noch wach war und mir ein Let's Play von Left Behind ansah.

Lea Irion, Journalistin und Autorin dieses Artikels
Lea Irion, Journalistin und Autorin dieses Artikels. 

Da war er plötzlich, dieser psychische Anker, den ich stets gesucht, aber nie gefunden hatte; eine Art Bestätigung, dass Homosexualität so normal sein muss, dass es in Ordnung zu sein scheint, sie in einem Videospiel abzubilden. Mein Körper antwortete mit Tränen der Erleichterung, vermengt mit etwas Angst, aber auch der Gewissheit, einen Fuß in der Tür zu haben: der Tür zu dem, was ich bin und was mich ausmacht. 

Wer selbst nicht von dieser Verunsicherung betroffen ist, hat mitunter Probleme zu verstehen, warum Repräsentation von LGBTQIA+ in Medien so wichtig ist. Ellie wurde ab diesem Tag zu einer der wichtigsten Personen in meinem Leben; dabei lebt sie gar nicht und ist rein fiktiv, hat noch nie ein echtes Wort mit mir gewechselt oder mir in die Augen geschaut. Und doch trat sie an einem entscheidenden Punkt in mein Leben. Ich weiß heute, dass ich es ohne The Last of Us und ohne Left Behind nicht geschafft hätte, zu mir zu finden.

Nur 2 Prozent der Spiele sind inklusiv

Mit meiner Geschichte bin ich nicht allein: GLAAD, eine gemeinnützige Organisation, die sich für die Rechte von LGBTQIA+ einsetzt, veröffentlichte im Februar 2024 die erste Studie zur Inklusion von Menschen wie mirin Videospielen. Demnach sind es etwa 17 Prozent der Gamer:innen, die sich als LGBTQIA+ identifizieren. Allerdings fehlt in den meisten Spielen die Darstellung von entsprechenden Charakteren oder Handlungssträngen. Laut dem Bericht von GLAAD machen solche inklusiven Spiele nur 2 Prozent der gesamten digitalen Bibliotheken von Xbox, PlayStation und Nintendo aus. Die Studie fand außerdem heraus, dass der Nintendo eShop die geringste Anzahl von Spielen mit LGBTQIA+-Inhalten hat, nämlich 50, gefolgt von PlayStation mit 90, Microsoft mit 146 und Steam mit 2.302 englischen Spielen, wobei diese Zahl auf 1.506 sinkt, wenn Spiele mit „nur für Erwachsene bestimmten sexuellen Inhalten“ herausgefiltert werden. Für heterosexuelle CisMenschen ist es also denkbar einfach, ein Spiel zu finden, das die eigenen Interessen abbildet – während es Menschen wie mir schier unmöglich ist.

„Sind meine Gefühle fehlgeleitet?"

Was The Last of Us für mich ist, war die Action-Adventure-Serie Legacy of Kain für Jade-Kain Coffi, ihrerseits Technical Artist und seit vielen Jahren in der Hamburger Indie-Branche unterwegs. Jade outete sich Anfang des Jahres als trans. Ihr Weg dorthin war steinig, das Ziel schien manchmal unerreichbar, und noch heute kommen ihr die Tränen, wenn sie darüber spricht. Ihr Anker in all der Zeit: Legacy of Kain, respektive der letzte Titel der Reihe: Defiance, zu Deutsch: Trotz. 

Jade ist schon seit vielen Jahren festes Bestandteil der Hamburger Indie Branche
Jade ist schon seit vielen Jahren festes Bestandteil der Hamburger Indie Branche

Defiance war der Spiegel, in dem sich Jade wiedererkannte. Wenngleich Legacy of Kain bereits über zwei Jahrzehnte alt und in Sachen Inklusion von LGBTQIA+ kein erwähnenswerter Titel ist, waren diese Spiele mit ihren beiden Protagonisten am Ende doch das, was Jade so dringend brauchte. „Weder Raziel noch Kain haben die fünf Spiele über einen klaren Weg, sie sind immer wieder unsicher, was das Richtige ist, oder verlieren immer wieder ihren Glauben darin, was sie für richtig halten“, sagt Jade. Und genau darin habe sie sich selbst wiedergefunden. „Als Transfrau verstehe ich diesen Struggle, den ich über meine Jugend und in meinen Zwanzigern immer wieder erlebt habe: Tu ich das Richtige? Sind meine Gefühle fehlgeleitet? Sollte ich mich meinem Schicksal fügen? Ist die Gesellschaft korrekt darin, mich in eine Richtung zu lenken?“

Cover Art von Legacy of Kain - Defiance, veröffentlicht im Jahr 2003 (By ToTheGame.com, Fair use)
Cover Art von Legacy of Kain - Defiance, veröffentlicht im Jahr 2003 (By ToTheGame.com, Fair use)

Tobias Graff ist einer, der hier mitreden kann. Er ist Co-Founder von Mooneye Studios und dort heute als CEO tätig. Aushängeschild des Studios ist Lost Ember, in dem Spieler:innen in die Haut einer Wölfin schlüpfen, die in ihrem früheren Leben mit einer Frau zusammen war. „Da gab es schon den ein oder anderen mal mehr, mal weniger beleidigenden Kommentar“, erinnert sich Tobias. Er selbst blickt gerne auf das Spiel Dragon Age zurück, in dem man schon vor Jahren homosexuelle Charaktere antreffen konnte. „Das blieb mir sowohl positiv in Erinnerung, aber die Online-Diskussionen und Kommentare, die es direkt dazu gab, auch im negativen Sinne.“

Tobias Graff is the CEO of Hamburg-based Mooneye Studios, who developed Lost Ember
Tobias Graff ist CEO von Mooneye Studios, die Lost Ember entwickelt haben

Und dann macht er einfach selbst

Umstände, die ihn selbst keineswegs davon abgehalten haben, der Ablehnung auf eigene Faust zu begegnen; unter anderem eben mit Lost Ember und einem besonderen Award namens Colors of Indie. „Seit 2022 beleuchten wir damit Indie-Entwickler, die besonderes Augenmerk auf Diversity werfen oder einfach besonders diverse Teams sind, und versuchen diese mit den uns möglichen Mitteln zu fördern“, sagt Tobias. Er suche generell auch gar nicht wirklich die Konfrontation, wenn ihm Hass begegnet. „Meistens versuche ich es einfach zu ignorieren, manchmal antworte ich auf negative Kommentare, was aber selten in konstruktiven Diskussionen endet.“ Tobias richtet seinen Fokus lieber auf das Positive.

Der Colors of Indie Award zeichnet Teams und Unternehmen aus, die besonders divers sind oder diverse Themen behandeln
Der Colors of Indie Award zeichnet Teams und Unternehmen aus, die besonders divers sind oder diverse Themen behandeln

Jade verhält sich in dieser Hinsicht ähnlich. Sie sagt, sie reagiere immer erstmal mit Trauer, wenn ihr Feindlichkeit begegnet. Da spreche dann das Unverständnis aus ihr, warum andere so denken, so handeln, so ausgrenzen. Direkte Gespräche zu führen findet auch sie schwer, nur wenige könne man abholen und von ihrer Meinung abbringen. Auch Jade wird dann lieber selbst tätig: „Aktiv gehe ich gegen den Hass und die Anfeindungen vor, indem ich Spiele mache, die meine Werte und uns als Gemeinschaft repräsentieren, Diversity zelebrieren und uns verbinden.

Sowohl sie als auch Tobias sagen unisono, dass Sichtbarkeit von LGBTQIA+ nicht nur zu einer Normalisierung innerhalb der Gesellschaft beiträgt, sondern eben vor allem denen helfen kann, die noch, wie ich damals, daheim in einem dunklen Zimmer sitzen und auf einen Hoffnungsschimmer warten. „Je normaler es wird, die unterschiedlichsten Charaktere in Spielen zu sehen – sei es was Geschlechtsidentität, Sexualität, Hautfarbe oder sonst etwas angeht–, desto normaler wird es hoffentlich auch für alle im normalen Leben“, sagt Tobias. „Gerade für junge Menschen ist es einfach wichtig zu sehen: ‚Ich bin nicht allein, es gibt auch andere wie mich’.“

Jade geht denselben Weg wie Tobias. Sie ist Gründungsmitglied von Positive Impact Games, namensgebend steht auch hier Diversity im Vordergrund; ein frauengeführtes Start-up, multikulturell und so facettenreich, wie es eine Gesellschaft eben ist. „Eskapismus in der Moderne ist in vielen Formen vertreten, Videospiele sind dabei ein Medium, die genau das bieten, aber gleichzeitig Spieler*innen abverlangen, teilzuhaben, und nicht passiv zu konsumieren“, findet Jade. Und genauso deswegen eignen sich Videospiele besonders gut dabei, Menschen, die sich als LGBTQIA+ identifizieren, an die Hand zu nehmen und zu sagen: Du bist perfekt, wie du bist.

Lost Ember, ein Spiel von Mooneye Studios. Die Protagonistin ist eine Wölfin, die in ihrem vorherigen Leben eine Frau geliebt hat.
Lost Ember, ein Spiel von Mooneye Studios. Die Protagonistin ist eine Wölfin, die in ihrem vorherigen Leben eine Frau geliebt hat.

Ein Glück, größer als alles andere

Die Geschichten von Jade und Tobias sind welche, die Mut machen, die stellvertretend für die ganze Gaming-Szene einen Schritt in die richtige Richtung gehen und zeigen, wie es anders funktionieren kann. Damit in Zukunft noch viel mehr Menschen wie ich in ihren Zimmern hocken, in einen Bildschirm starren und sich selbst entdecken dürfen.

Ich habe mir im Laufe der Jahre Ellie als Tattoo stechen lassen. Mein linker Oberarm erinnert mich Tag für Tag an diesen einen Moment vor zehn Jahren, als ich da saß und nicht wusste, wohin mich dieses Spiegelbild führen würde. Geoutet habe ich mich zwar erst einige Jahre später. Heute sitze ich aber hier, in einem neuen Zimmer, in dem nicht mehr nur ich alleine schlafe.

Jeden Tag wache ich hier neben der Liebe meines Lebens auf; ein Glück, das so groß ist, dass ich es mit keinerlei Worte gebührend wiedergeben könnte. Neulich haben wir zusammen The Last of Us gespielt. Ich habe viel geweint, aus Freude und Demut darüber, dass ich diesem einen Spiel alles zu verdanken habe. Und wenn ich höre, dass es Menschen wie Jade und Tobias gibt, habe ich große Hoffnung, dass es Geschichten wie meine in Zukunft viel öfter geben wird; dass Menschen zu sich finden dürfen, weil sie sich gesehen fühlen, weil ihnen jemand den Wert zurückgibt, den sie selbst verloren haben, und weil sie Liebe spüren dürfen – insbesondere Liebe zu sich selbst.

Der Kuss, der für Lea so viel veränderte: Ellie und Riley aus the Last of Us - Left Behind (Naughty Dog, 2014)
Der Kuss, der für Lea so viel veränderte: Ellie und Riley aus the Last of Us - Left Behind (Naughty Dog, 2014)
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